Stephan Baier: KINDERLOS – Europa in der demographischen Falle

von Stephan Baier

Eine Buchbesprechung von Dr. Alfons Adam

Ein Buch mit diesem Titel ist im MM-Verlag, Aachen, erschienen (ISBN 3-928272-16-0, 280 Seiten, EUR 18,–). Der Autor ist verheiratet, Vater von fünf Kindern und Korrespondent der katholischen Tageszeitung „Die Tagespost“. Sein Buch ist eine gelungene Mischung zwischen einem flüssig geschriebenen Kommentar und einem fundierten Sachbuch mit einer Fülle von Daten und Fakten.

Eine Gesellschaft steht auf dem Kopf
„Die ärmsten Länder der Welt sind kinderreich, die reichsten Länder sind mehr und mehr kinderlos… Für die Selbstverwirklichungs-, Karriere- oder Fun-Gesellschaft der Ein- und Zweipersonenhaushalte sind die Kinderreichen nur mehr „die nützlichen Idioten“, die ihnen die Rentenfinanciers von morgen großziehen“. Diese Überlegung steht am Beginn. Europa hat vieles hinter sich, „aber für die nun heraufdämmernde Krise gibt es in der Geschichte Europas keine Parallele, keine Erfahrung und kein Lösungsmodell“. Das Vorwort bringt es bereits auf den Punkt. Ein fertiges Modell für die Lösung der auf uns zukommenden Probleme kann es nicht geben, das Buch enthält aber eine Reihe wertvoller Denkanstöße.

Kinderreichtum hat die Menschheit über Jahrtausende als Segen verstanden, im heutigen Europa ist er „zur größten Armutsfalle und zu einem verhütbaren Risiko geworden“. Andererseits leben die Europäer länger als alle ihre Vorfahren und in einer noch vor kurzer Zeit unvorstellbaren Lebensqualität. Die Europäer werden nicht nur alt, sondern sogar relativ gesund alt. Der Anteil der Alten in der Gesellschaft wächst rasch. Im Jahr 1995 standen in Deutschland 100 Erwerbstätigen 36 Personen im Rentenalter gegenüber, 2001 waren es bereits 44 Personen und im Jahr 2050 werden es 78 Personen sein. 2002 waren 16,8 % der Einwohner Deutschlands und 15,9 % der Einwohner Österreichs über 65 Jahre alt. Ähnliche Prozentsätze gelten bei unseren Nachbarn. Zum Vergleich: In der Türkei liegt dieser Prozentsatz bei 5,8, und in Pakistan bei 3,3. Noch deutlicher ist die Zunahme der über 80jährigen. Aus den Bevölkerungspyramiden werden Bäume, deren Wipfel immer breiter und breiter und deren Stamm langsam schmäler wird. Die Volksrepublik China wird ähnliche Sorgen bekommen: UN-Experten erwarten wegen der Ein-Kind-Politik einen 60-Millionen-Männer-Überschuß.

Doch das Problem ist nicht die Zunahme der alten Menschen. „Eine kinderreiche Gesellschaft könnte die alten Menschen hervorragend brauchen, und bei einer ausreichenden Masse Erwerbstätiger auch versorgen.“ … „Erst durch den Mangel an Nachwuchs wird aus der gestiegenen Lebenserwartung der Menschen eine Überalterung der Gesellschaft. Wenn etwa ab dem Jahre 2015 die geburtenstarken Jahrgänge selbst in den Altersruhestand drängen, werden die umlagefinanzierten Sozialsysteme gänzlich unfinanzierbar.“ Das gilt mit Ausnahme Albaniens für alle europäischen Staaten. Deutschland und Österreich erreichten 2002 nur eine Fertilitätsrate von 1,4 Kindern pro Frau. [Anm. Notwendig, um den Bevölkerungsstand zu erhalten, wären bekanntlich 2,1.] Noch niedriger ist diese Ziffer für Spanien, Italien, Polen und Litauen. Das Erschreckende ist, daß dieser Trend seit Jahrzehnten konstant ist. Auch die absoluten Bevölkerungszahlen verändern sich dramatisch. So wird die voraussichtliche Einwohnerzahl Deutschlands ab dem Jahr 2013 zurückgehen, bis 2050 auf das Niveau von 75 Millionen absinken. Die konstant niedrige Geburtenrate führt zu einer Beschleunigung des Geburtendefizits.

Noch immer gibt es Menschen, die sich vor einer Überbevölkerung der Erde fürchten, eine Besorgnis, die nach einem UN-Bericht aus 2003 unbegründet ist. Das Wachstum der Weltbevölkerung wird um das Jahr 2040 zum Stillstand kommen und die Bevölkerung selbst in den darauffolgenden Jahrzehnten langsam abnehmen. Dennoch werden auch heute noch im Wege über die UNO europäische und amerikanische Steuergelder für die Verbreitung von Verhütungsmitteln aller Art, für Sterilisations- und Abtreibungspropaganda in der Dritten Welt verschleudert. Der Autor stellt die Frage, ob es sich um eine neue Form des Kolonialismus handelt, ob die Amerikaner und Europäer aus Angst vor den immer zahlreicher werdenden jungen Menschen aus dem Süden die weltweite Verhütungs-, Sterilisations- und Abtreibungspropaganda unterstützen. Westliche Institutionen werben in den Entwicklungsländern offensiv für die Abtreibung. Als Präsident Bush den „Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen“ (UNFPA) wegen der Förderung erzwungener Abtreibungen und unfreiwilliger Sterilisation die finanzielle Unterstützung entzog, sprang die EU-Kommission mit Zustimmung des Europäischen Parlamentes ein und stellte 32 Millionen Euro zur Verfügung. Im Jahr 2000 hat die EU derartige Aktivitäten mit insgesamt 300 Millionen Euro unterstützt.

Zitiert wird aus „Die Pyramide steht Kopf“ von Roland und Andrea Tichy: „Deutschland steht vor dramatischen Veränderungen: kein Stein in dieser Gesellschaft wird auf dem anderen bleiben, keine uns bekannte Ordnung den sich aufbauenden Veränderungssturm überleben … Alle Formen des Zusammenlebens, die wir kennen, familiäre, freundschaftliche, staatliche, berufliche lösen sich auf. Unsere Form der Demokratie hat sich zu Ende gewählt, unser Wohlstand ist auf Sand gebaut, der Sozialstaat eine von Würmern zerfressene Fassade, die jedes kleine Kind mit einem Fingerschnippen umstoßen könnte. Wenn es denn noch Kinder gäbe.“ Stephan Baier erläutert im Anschluß an dieses Zitat, daß es sich dabei nicht um polemische Übertreibungen handelt. „Nicht die Moral, sondern die Mathematik zwingt zu der Erkenntnis, daß die Fun-Gesellschaft der zurückliegenden Jahrzehnte das Problem geschaffen hat, das nun unabwendbar scheint … Der Konstruktionsfehler des Generationenvertrages, der die Kinder vergaß und immer nur zwei der drei Generationen umfaßte, rächt sich heute.“ Durch die gestiegene Lebenserwartung werden die Kosten für Pensionen und Renten, für Gesundheit und Pflege extrem steigen. Auch wenn viele europäische Regierungen heute „ gebremst durch realitätsferne „Weihnachtsmann-Parteien“, Gewerkschaften und Lobbyisten vieler Art, die Lebensarbeitszeit verlängern und die Pensionsansprüche drücken, können solche kosmetischen Korrekturen die demographische Revolution nicht mehr aufhalten. Noch einmal werden Roland und Andrea Tichy zitiert, wonach die explosionsartig ansteigenden Gesundheitslasten nicht zu bewältigen sein werden und kein Sozialstaatsystem vorstellbar wäre, das diese Lasten bewältigen könnte. Es wird auf eine Studie von Bankfachleuten hingewiesen des Inhalts, daß sich durch explodierende Pensionsausgaben und höhere Budgetdefizite das Wachstum in der EU deutlich verringern und das wirtschaftliche Gewicht der EU in der Welt sich fast halbieren werde.

Eine Expertengruppe um den früheren finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari will der Überalterung Europas durch den Beitritt der Türkei zur EU begegnen. Tatsächlich wird die Türkei bereits im Jahr 2025 87 Millionen Einwohner haben und würde so das bevölkerungsstärkste EU-Mitgliedsland sein. Die Europäer sollten die geographische, geschichtliche und gesellschaftliche Wirklichkeit der Türkei unter die Lupe nehmen, um zu erfahren, was auf sie zukommt.

Alles läuft falsch, aber das zumindest konsequent.
Uns fehlen heute die in den letzten dreißig Jahren abgetriebenen Kinder. Doch die Subventionierung der Abtreibungspolitik kostet den deutschen Steuerzahler jährlich mehr als 40 Millionen Euro, während mittlerweile die Kostenübernahme wichtiger Medikamente für Kranke verweigert wird. Der Autor beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Abtreibung als Instrument der Geburtenregelung und einer Gefahr für den Rechtstaat und kommt zum Schluß, der Verfall des Rechtstaates, seine Entwicklung zum „latrocinium“, zur Räuberbande (nach dem hl. Augustinus), bleibt aber nicht ohne Folgen für andere Rechtsbereiche und für das Rechtsbewußtsein der Menschen.

Und das hat Auswirkungen auch auf das Lebensende. Die Euthanasiedebatte ist bereits voll im Gange. Bisher haben zwar nur die Niederlande und Belgien die aktive Euthanasie von der Strafverfolgung ausgenommen, doch zeichnet sich bereits eine Trendwende ab. Für diese aktive Sterbehilfe kämpft der Schweizer Abgeordnete in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Dick Marty. [Anm. Ihm ist in der Zwischenzeit eine Art Durchbruch gelungen.] Zitiert wird eine holländische Internistin, daß Betroffene durch die Vorbildwirkung paralleler Fälle und durch die Wünsche und Bedürfnisse des sozialen Umfelds, selbst der Familie, das Einverständnis zum eigenen Tod oft „als Pflicht erfahren“ werden. Dazu wörtlich: „Die immer bedrohlichere demographische Entwicklung und das ungebrochene Selbstverwirklichungs- und Wellnessdenken der westlichen Gesellschaft sprechen dafür, daß der Druck auf die Alten und Kranken in einer barbarischen Weise zunehmen wird, wenn erst einmal der strafrechtliche Schutzwall gegen die Tötungshilfe gefallen ist. … Die zunächst humanistisch argumentierende Forderung nach einer Erlösung unheilbar erkrankter Menschen von ihrem unerträglich gewordenen Leiden wird sich rasch als wirtschaftlich und gesellschaftlich „nützlich“ erweisen. Angesichts berstender Gesundheits- und Pflegekosten, angesichts leerer Schulen und überfüllter Altenheime, angesichts maroder Staatsfinanzen und wachsender Schuldenberge werden 90jährige, die an ihrem Lebenswillen festhalten, früher oder später als Sozialschmarotzer und volkswirtschaftliche Schädlinge beschimpft werden.“

Weil sich das überlebensnotwendige und radikale Umdenken auf das beziehen muß, was den Menschen, seine Person und seine Würde unmittelbar angeht, beschäftigt sich Stephan Baier richtigerweise auch mit dem Zusammenhang zwischen Abtreibung und künstlicher Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation). Und er stellt die rhetorische Frage: „Ist es nicht ein Fortschritt, daß wir dank moderner Verhütungsmethoden Sex ohne Kinder, dank In-Vitro-Fertilisation auch Kinder ohne Sex haben können?“ Und er läßt in diesem Zusammenhang die Lehre der katholischen Kirche zu Wort kommen.

Sehr wichtig auch das Kapitel über die „Embryonen für die Forschung“ und die Ablehnung der Forschung an embryonalen Stammzellen, weil dadurch menschliche Embryos planmäßig getötet werden. Sehr wichtig ist der Hinweis auf die adulte Stammzellenforschung und deren Heilungserfolge. Adulte Stammzellen werden vom Patienten selbst entnommen und wieder rücktransplantiert, wodurch Abstoßungsreaktionen ausgeschlossen werden. Wenn es um die Menschenwürde geht, muß man sich auch mit der pränatalen Diagnostik (PND)und der Präimplatationsdiagnostik (PID)beschäftigen, was Stephan Baier unter der Überschrift „Die Endlösung der Behindertenfrage“, getan hat. Tatsächlich sind in Österreich behinderte Ungeborene von der „Fristenlösung“ ausgenommen, sie können unbefristet [Anm. bis zur Geburt!] abgetrieben werden. Die PND spielt daher eine große praktische Rolle. Auch in rechtlicher Hinsicht. Der Autor beschäftigt sich auch mit einem Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofes, welches auch ausführlich im PRO VITA-Heft 3/1999 besprochen wurde. Mit diesem Urteil hat der Oberste Gerichtshof Eltern „Recht“ gegeben, die eine Schadensersatzklage eingebracht hatten, weil ein Arzt bei einer Ultraschalluntersuchung die Behinderung ihres Kindes nicht erkannt und ihnen daher nicht zur Abtreibung geraten hatte. Ausschlaggebend für ihren Prozeßerfolg war die Behauptung, sie hätten ihr Kind abgetrieben, wenn sie von der Behinderung gewußt hätten. Es geht also um die Selektion lebensunwerten Lebens. Die PID nennt der Autor „technisch unterstützte Zuchtwahl“. Es geht um die genetische Untersuchung „in vitro“ gezeugter Embryonen. „Genetisch bedenkliche“ Embryonen werden vernichtet.

Die Verantwortung für künftige Generationen bringt es mit sich, daß man sich mit dem Thema Homosexualität beschäftigen muß. Der Autor beschreibt den „Siegeszug der Homo-Lobby“ und daß es hiefür keine sachliche Rechtfertigung gibt: „Richard Cohen sagt: ‚Niemand wird als Homosexueller geboren‘, und er ist überzeugt: „Jeder, der eine heterosexuelle Orientierung sucht, kann sie finden‘. Cohens Überzeugungskraft beruht nicht nur auf Fakten, sondern auf seiner Lebensgeschichte. Er selbst betätigte sich viele Jahre homosexuell. Auch die von Freunden angeratene Heirat und drei Kinder nahmen ihm nicht seine Fixierung. Erst als er die Ursachen seiner Neigung durchschaute, bekam er die Kraft, sich davon zu befreien.“ Wie sehr die Rechtsordnung durch die Institutionalisierung der Homosexualität durcheinandergeraten ist, wird anhand der in Deutschland seit 1. August 2001 ermöglichten „eingetragenen Lebenspartnerschaft“ beschrieben. Diese „Homo-Ehe“ hat Bedeutung für Unterhalt, Erbrecht, Auskunftsrecht im Krankenhaus, Zeugnisverweigerungsrecht, Möglichkeit eines gemeinsamen „Familien“-Namens und bringt das „kleine Sorgerecht“ über die Kinder des Partners. Die Möglichkeit einer Adoption steht im Raum. Das Europäische Parlament hat 1994 die Mitgliedsstaaten aufgefordert, „homosexuellen Paaren alle rechtlichen Regelungen für heterosexuelle Paare zu eröffnen“ und „Kampagnen zur Bekämpfung jeglicher Form der sozialen Diskriminierung von Homosexuellen einzuleiten“. Dazu Stephan Baier: „Nichtdiskriminierung und Toleranz sind nicht das letzte Ziel der Homo-Lobby. Wäre es so, dann könnte sie sich damit zufrieden geben, daß der Staat sich nicht mehr dafür interessiert, was zwei Erwachsene im rein privaten Raum und freiwilligerweise miteinander treiben.“ Es ist die katholische Kirche, die dazu eine klare Sprachregelung hat (Dokumentation der Glaubenskongregation aus 2003): „Es gibt keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn. Die Ehe ist heilig, während die homosexuellen Beziehungen gegen das natürliche Sittengesetz verstoßen. Durch Gleichstellung und Förderung der Homosexualität werden die Kinder diskriminiert, die ja ausschließlich in heterosexuellen Beziehungen gezeugt werden können. Diskriminiert werden aber auch jene Menschen, deren Freundschaft nicht sexueller Natur ist. Der Autor stellt die rhetorische Frage: „Warum soll ein Homosexueller seinem Lebenspartner zu besseren Konditionen etwas vererben oder schenken können, als nichtsexuell verbundene Freunde, Nachbarn oder Verwandte dritten Grades?“

Lassen sich die Probleme durch Zuwanderung lösen? Zitiert wird der Demograph Birg: „Mit Einwanderungen in einer für die Gesellschaft akzeptablen, integrierbaren Größenordung läßt sich weder die demographische Alterung noch die Bevölkerungsschrumpfung verhindern. Wenn man z.B. den Anstieg des Altersquotienten durch die Einwanderung Jüngerer ganz verhindern wollte, müßte Deutschland bis 2050 netto 188 Millionen Einwanderer aufnehmen.“

Plädoyer für eine Trendwende in der Familienpolitik
„Wenn die Not zur Umkehr zwingt…“ mit diesen Worten beginnt Stephan Baier sein „Plädoyer für eine Trendwende in der Familienpolitik“. Dazu ein Kernsatz: „Nicht um andere Lebensentscheidungen madig zu machen, sondern um das Allerfraulichste neu zur Geltung zu bringen, sei allen Müttern zu einem neuen, demonstrativen Selbstbewußtsein geraten: Verstecken Sie sich und Ihre Kinder nicht! Realisieren Sie mutig Ihren Kinderwunsch! Widersprechen Sie mit weiblichem Selbstbewußtsein allen törichten Mutterkreuz-Polemiken! Diese kinderlose Gesellschaft braucht eine Renaissance der Mütterlichkeit. … Nichts ist kindgerechter, natürlicher und menschenwürdiger für Kinder, als mit Vater und Mutter, möglichst auch noch mit Geschwistern aufwachsen zu dürfen. Kinder brauchen Vater und Mutter, weil sie Liebe, Geborgenheit, Fordern, Fördern und Vorbilder brauchen. Sie brauchen die Verschiedenheit der beiden elterlichen Rollen, die Verschiedenheit von Frau und Mann, von Mutter und Vater. Nichts ist deshalb absurder als „Homo-Ehe“, vor allem dann, wenn zwei gleichgeschlechtliche Partner auch noch Kinder adoptieren können. … Welche Beleidigung für alle Mütter, zu behaupten, ein Mann könne sie in ihrer Mütterlichkeit ersetzen! Welche Geringachtung aber auch des Vaters, ihn durch eine Frau ersetzen zu wollen.“

Und die konkreten Denkanstöße, die Stephan Baier gibt, gehen davon aus, es könne nicht gerecht sein, die Kosten einer Angelegenheit, des „Privatvergnügens Kinder“, zu privatisieren, den Nutzen derselben zu sozialisieren. Wenn Eltern die Aufzucht der Kinder privat zahlen müssen, dann sollen die Kinder später auch nur die Altersicherung ihrer eigenen Eltern zahlen. Denn: „Angeschmiert sind die Eltern, die das karge Geld, daß ihnen Finanzamt und Pflichtversicherungen noch übrig lassen, hauptsächlich in die eigenen Kinder investieren, während die Kinderlosen tüchtig konsumieren oder sich andere Schienen der Alterssicherung aufbauen können. Noch mehr angeschmiert sind aber die Kinder, weil „ auch aufgrund der geschilderten Ungerechtigkeit „ eine demographische Lücke entstanden ist, in der immer weniger Kinder den Generationenvertrag für immer mehr Rentner erfüllen sollen.“ … „Trotz aller Almosen, die den Familien im Umverteilungsstaat zufließen, belohnt der Staat tendenziell weiterhin Individualismus und Kinderlosigkeit, behindert und bestraft weiterhin Familienbildung und Kinderreichtum. … Die sogenannte NUR-Hausfrau wird nicht nur vom Staat so behandelt, als täte sie nichts, sondern ist auch permanent der gesellschaftlichen Zurücksetzung ausgeliefert. Erst wenn die Frau die Hausarbeit delegiert, um selbst einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen, wird dies steuerlich und sozialversicherungstechnisch relevant. Mit anderen Worten: Die Hausarbeit im fremden Haushalt (als Köchin, Putzfrau etc.) wird als echte Arbeit gewertet, die im eigenen Haushalt als Privatvergnügen. Die Erziehung und Betreuung fremder Kinder (als Tagesmutter, Kindergärtnerin, Lehrerin etc.) wird als echte Arbeit gewertet, die der eigenen als Privatvergnügen.“ Gegen diesen Mangel an Gerechtigkeit kann nur angegangen werden, wenn die Familie, die zuerst einmal Berufung ist, auch als echter Beruf anerkannt wird. Eine Gesellschaft, die nicht an Kinderlosigkeit zugrunde gehen will, muß Familien- und Erziehungsarbeit nicht nur bezahlen, sondern auch anerkennen. Familien produzieren, vor allem, aber nicht nur, Humanvermögen. Sie sind als Unternehmen anzuerkennen. Der die Familien- bzw. Erziehungsarbeit leistende Elternteil wäre der Geschäftsführer des Unternehmens, selbstverständlich sozialversichert, mit allen Folgen für Altersvorsorge und Krankenversicherung. Aufwendungen der Familie müßten steuerlich absetzbar werden. Statt Millionen in ein immer engeres und flächendeckenderes Netz verschiedener Kinderbetreuungseinrichtungen zu pumpen, sollte die öffentliche Hand dieses Geld lieber den Eltern in die Hand geben, die dann tatsächlich die freie Entscheidung hätten, ob sie sich selbst um Erziehung und Betreuung ihrer Kinder kümmern, einer außerfamiliären Berufsarbeit nachgehen oder mit diesem Geld die Kosten außerhäuslicher Kinderbetreuung finanzieren wollen. Die herrschende Familienpolitik geht genau in die entgegengesetzte Richtung. Die EU will die Frauenerwerbsquote bis zum Jahr 2010 auf 60 % anheben, gemeint ist die außerfamiliäre Erwerbsarbeit. Das Europäische Parlament fordert „Hemmnisse zu beseitigen, die Frauen von einer Beteiligung am Erwerbsleben abhalten“. Baier dazu humorvoll: „Das wird doch hoffentlich kein Aufruf zum Kindermord sein?“

Ein weiterer Denkanstoß zielt auf die Öffnung des Arbeitsmarktes für Alte. Interessante Vorschläge gibt es auch zur Flexibilität weiblicher Karrieren. „Angesichts der gestiegenen Lebenserwartung ist es hochgradig unvernünftig, daß Frauen ihren entscheidenden beruflichen Aufstieg ausgerechnet in jener Zeit nehmen müssen, in der sie auch Kinder bekommen und eine Familie bilden können. Unvernünftig ist ebenso, Frauen mit der Formel „Familie und Beruf müssen vereinbar sein“ die ganze Last dieser einfach behaupteten Vereinbarkeit aufzubürden. Wenn die Frau die Hausarbeit und die Kinderbetreuung auslagert, kostet dies Geld, das gerade in dieser Lebensphase oft knapp ist. Gibt sie jedoch den Beruf für die Familienbildung und Kinderbetreuung auf, kostet sie das üblicherweise noch viel mehr Geld: kurzfristig den Verzicht auf ein eigenes Einkommen, langfristig den Verzicht auf eine Karriere. … Die demographisch fatale Folge ist auch, daß junge Paare ihren Kinderwunsch nicht oder nur teilweise realisieren.“ Daran anknüpfend wird die Frage gestellt, warum Familie und Beruf unbedingt gleichzeitig vereinbar sein sollen. „Wäre es nicht denkbar, Familien- und Erziehungsarbeit in einer Lebensphase den Vorrang zu geben, der außerhäuslichen Erwerbsarbeit und der Karriere in der nächsten?“

Gefordert wird ein Wahlrecht für Kinder, welches von den Eltern auszuüben wäre. Einundvierzig Abgeordnete des deutschen Bundestages aus verschiedenen Parteien haben am 15. Juli 2003 einen gemeinsamen Antrag für ein Kinderwahlrecht eingereicht, dessen sehr zutreffende Begründung wiedergegeben wird. In Österreich ist die SPÖ strikt gegen ein solches Wahlrecht.

Ein weiterer Vorschlag lautet, die Erbschaftssteuer abzuschaffen. „Während der Staat selbst den kommenden Generationen hauptsächlich Schulden vererbt, verhindert er gleichzeitig, daß zumindest jene, die ein privates Vermögen zu vererben hätten, dies ungemindert an ihre Nachkommen weiterreichen. Wenn der Staat sich beim Tod von Angehörigen am Erbe der Nachkommen bereichert, benimmt er sich wie ein skrupel- und pietätloser Wegelagerer.“ Der Autor verteidigt die wirtschaftliche Globalisierung und fordert eine ethische Globalisierung. Die Europäer müssen an der Lösung der Probleme anderer aktiv mitarbeiten, weil sonst auch ihr eigener Wohlstand und sie selbst in Gefahr geraten. Die Grenzen des „Selbstverwirklichungswunders“ werden aufgezeigt und an das Prinzip Verantwortung erinnert: „Der radikale Individualismus der Selbstverwirklichungsideologie predigt uns: Du hast nur dieses eine Leben, darum nutze es zu deinen Zielen! Alles ist erlaubt, solange es dir dabei gut geht! Heirate oder suche dir einen Lebensabschnittsgefährten, wenn du willst. Trennt euch wieder, wenn und wann ihr es wollt. Zeugt Kinder und befasst euch mit ihnen, solange und soviel es euch angenehm und nützlich erscheint! Verwirkliche dich selbst! Du selbst bist dein Weg und dein Ziel. Und der intellektuelle Zyniker fügt noch hinzu: Wenn jeder an sich denkt, wird wenigstens keiner vergessen.“

Kinder sollen kein Luxusgut sein, kein „Produkt“ sondern ein Geschenk: „Eltern, die ihre Kinder dankbar als Gottesgeschenk annehmen und ihnen selbstlose Liebe schenken, lehren sie damit etwas, was ihnen keine noch so professionelle Pädagogik vermitteln kann: Grundvertrauen in das Leben, Lebens- und Liebesfähigkeit.“

Weitere interessante Denkanstöße finden sich über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Verhältnis Staat und Familie, welch ein wichtiger Dienst an der Gesellschaft die Kindererziehung ist, wie sehr es notwendig wäre, das „Prinzip Verantwortung“ anstelle der heute verbreiteten Versorgungsmentalität zu stellen. Die Wehrpflicht wird als volkswirtschaftlicher Irrsinn bezeichnet und ein Berufsheer gefordert.

Zuletzt noch ein Zitat, welches viele wesentliche Aussagen zusammenfaßt:

„Weder Gottes Gebote noch die Warnungen der Kirche, weder die Erfahrungen der Menschheitsgeschichte noch die reine Vernunft haben uns Europäer davon abgehalten, Ehe und Familie zu demontieren. Jetzt aber schlägt die Mathematik zurück. Zahlen können grausam sein: Sie sagen uns, wann die Bevölkerungspyramide auf dem Kopf stehen wird, wann jeder Erwerbstätige zwei Pensionisten zu finanzieren haben wird, wann unsere umlagefinanzierten Sozialsysteme unfinanzierbar geworden sind. Sie sagen uns auch, wieviele Millionen Zuwanderer aus fernen Ländern – und mit einer weniger (post-) modernen Mentalität – nötig wären, um unser Geburtendefizit auszugleichen. Aber die Zahlen geben keine Auskunft über Auswege aus der demographischen Falle.“

Solche Auswege im Sinn eines fertigen Konzeptes kann auch Stephan Baier nicht aufzeigen, sein Buch enthält jedoch neben einer grundlegenden Analyse viele wertvolle Denkanstöße. Und vor allem ist seinen Ausführungen zu entnehmen, daß ein radikales Umdenken für uns alle lebensnotwendig ist.

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